Zwei Faschingssieger in einem Kostüm
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1957 und 1958 gewann meine Mutti zweimal nacheinander einen Hauptpreis beim Leipziger Faschingsball. Diese wurden damals unter großem Aufwand im Leipziger Antifa – einem Jugendclub in der Elsterstraße – und in der Leipziger Kongresshalle veranstaltet.
Als gelernte Schneiderin mit gertenschlanker Figur war es ihr natürlich ein Leichtes, sich von der BURDA inspirieren zu lassen. Dem heimlich besorgten und gehegten Magazin aus dem anderen Deutschland, das doch so viele Begehrlichkeiten weckte …
Ich sehe sie auf dem Siegerfoto noch deutlich vor mir – eine Madame Pompadour – in einer weißen Seidencorsage mit einem rosa Seidenrock, unterlegt von Unmengen weißem Tüll und einer rosa Seidenschleife, die den halben Saum einband und sich dann an der kaum vorhandenen Taille zu einer dekorativen Schleife drapieren ließ. Dadurch bekam die bezaubernde Silhouette den leichten Anflug einer Tulpe. Der Knüller war zweifellos die barocke weiße Perücke – natürlich mit einer losen Locke, die sich sanft in die Halskehle schmiegte, ein unvermeidlicher Schönheitsfleck und ellenbogenlange weiße Handschuhe.
Damit hätte sie heute noch Siegchancen…
Im Jahr darauf belegte sie mit ihrem ebenfalls selbstgeschneiderten Torero-Outfit wieder einen Podestplatz.  Leider sind die beiden Fotos nicht in meinem Besitz. Ich kann sie Ihnen hier nicht zeigen, liebe Leser.
Aber wenn Sie sich an das Foto mit dem Eisbären erinnern, das ein und zwei Jahre vor diesen Faschingsbällen entstand, können Sie sicher selbst ein Bild in Ihrem Kopf entwerfen … Warum erzähle ich dennoch davon?

Weil sich aus diesen im ledernen Kostümkoffer sorgsam gehüteten Kostümbeständen, verwahrt zwischen Seidenpapier und Duftstäbchen, Jahre später eine Anekdote entwickelte, aus der erneut ein Faschingssieger hervorgehen würde.
Mein jüngerer Bruder war nicht nur ein besonders hübsches Kind, sondern – sich dessen durch jahrelanges feedback gründlich bewusst – auch ein herzerfrischender Schlingel. Ein zu jedem Schabernack aufgelegtes strahlendes Sonntagskind.
Und als es darum ging, in seiner damals fünften Klasse zum Schulfasching ein Kostüm auszusuchen, war die Entscheidung für den Elfjährigen glasklar. – Zwar zwickten die ungewohnten weißen Strumpfhosen, in denen er seine redlich erkämpften Fußballerschrammen verbergen musste, aber das Kleid passte perfekt. Die weiße Perücke, die ellenlangen Handschuhe und der abschließende Schönheitsfleck machten den Kerl unwiderstehlich.
Und unerkannt…
So muss es wohl auch den jungen Männern der eingeladenen Patenbrigade ergangen sein.
Mein Bruder, der mit hochroten Ohren und Adrenalin bis unter die Nasenspitze beim Abendessen von seinen Faschings-abenteuern berichtete, schwor Stein und Bein, er habe keinen Tanz ausgelassen …