Wanderpaddeln auf der Elster
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Es gibt nur ein Portrait von Opa Alfred. Beim Paddeln auf der Elster. Fred – die große Liebe meiner Omi Hilde. 
Der Blonde. Der Charmeur. Der Vater ihrer zwei Kinder.
Ihr geliebter Fred, der nach nur drei glücklichen Jahren Ehe in den Krieg musste. Und nicht zurückkam.
Hilde hat dieses Foto durch all die Kriegsjahre, das brennende Leipzig und die Wirrnisse der Flucht getragen, hat es beschützt. Eingenäht im Saum ihres Wintermantels. Verborgen vor den Blicken Dritter. Sicher verwahrt und immer dabei.
So wollte sie ihn in Erinnerung behalten – frei, gesund, glücklich.
Das Wanderpaddeln auf der Saale und der Weißen Elster gehörte in den 1930ern zu ihren schönsten Freizeitvergnügen.
Auch ihre Hochzeitsreise haben die beiden so verbracht – Alfred, der Bäckermeister und Hilde, die Verkäuferin.
Neben kurzen Strecken unternahmen die beiden auch längere Touren. Übernachteten im Zelt. Kehrten auf ein Bier ein.
Es war ein junger Sport, der sich da unter den Leipzigern zu etablieren begann. Englische Kapitäne brachten die ersten Kanus mit nach Europa. Nicht lange, da eroberte die Idee ganz Deutschland. Private Boote fuhren in Leipzig seit ca 1850 auf Elster und Pleiße. Sonnenbeschirmte Damen ließen sich von ihren stattlichen Herren rudern. Braungebrannte Sportlertypen verführten am Wochenende aufgeschlossene Stenotypistinnen.
1914 wurde der Deutsche Kanu-Verband gegründet. 1919 fanden die ersten deutschen Kanumeisterschaften in Leipzig statt. 1924 wurden bei den Olympischen Spielen in Paris Kanurennen offiziell. Als am 15. April 1931 der Leipziger Verein "Arbeiterwasserfahrer Fichte" gegründet wurde, trafen sich Männer wie Großvater Alfred. Sich im Verein zu organisieren war Zeitgeist. Sportlich sein eine Lebenshaltung. Noch vor dem Zweiten Weltkrieg paddelte der Deutsche Oskar Speck in einem Faltboot die Donau runter und gelangte später weiter bis nach Australien.
Ganz so weit wollten die „Fichtler“ Arbeitersportler vielleicht nicht.
Aber mit den ersten Schachtarbeiten am Leipziger Karl-Heine-Kanal schoss auch den Wanderpaddlern adrenalingetränktes Seemannsblut durch die Adern. Es lockten die 471 km vom Plagwitzer Stelzenhaus bis zu den Landungsbrücken
in Hamburg St. Pauli. Damals nicht erfüllbar.
Die kühnen Träume versickerten buchstäblich im Brackwasser des Lindenauer Hafens.
Ein Jahrhundert später  – mit dem Kanaldurchstich und den wieder beginnenden Arbeiten am Stadthafen Lindenau – träumt so mancher Freizeitpaddler schon so ein bisschen vor sich hin … Nicht nur der Kanaldurchstich erfolgte 2012. Die Uferbereiche wurden großzügig rekultiviert. Flaniermeilen und Aussichtspunkte geschaffen. Sogar ein ganz neues Hafenviertel an attraktiven Wohnungen und Familienhäuschen wird hier in den nächsten Jahren entstehen.
Heute aber ist erst einmal Baggerbiss. Der OBM sitzt ganz persönlich am Steuer und beißt mit der Stahlkralle in die letzte Landverbindung zwischen Karl-Heine-Kanal und Lindenauer Hafenbecken. Schaulustige, Reporter und Kenner der Stadtgeschichte sind versammelt. Kameras klicken. Sektkorken knallen. Mittendrin - auch Alfred’s Enkelin. Schickte mich doch das Grünauer Monatsmagazin „Grün As“, um den Leipziger Bürgermeister im Bagger und das spätere gemeinsame Anpaddeln im Hafenbecken für die Leser des Blattes abzulichten und zu beschreiben.